Urknall

Urknall, was ist das ? Hier sind nachfolgend einige Artikel, die sich seriös mit dem Thema auseinandersetzen. (Das ist viel Text, vielleicht doch besser ausdrucken ?)

 

Neue, hochpräzise Altersbestimmung des Universums


Mit bisher unerreichter Genauigkeit ermöglichten die Beobachtungen der Raumsonde WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe) die Altersbestimmung des Kosmos. WMAP wurde im Juni 2001 gestartet und erreichte drei Monate später seinen Beobachtungsposten außerhalb der Erdbahn in vierfacher Mondentfernung im so genannten Lagrange-Punkt Nummer z.
Aufgabe von WMAPwarund ist es, die kosmische Hintergrundstrahlung mit hoher Auflösung zu beobachten und lokale Abweichungen von der mittleren Temperatur, die der eines Schwarzen Strahlers von nur drei Grad über dem absoluten Nullpunkt entspricht, zu messen. Die kosmische Hintergrundstrahlung ist gewissermaßen der Rest vom Feuerball des Urknalls. Da sich die Feuerwand des Urknalls fast mit Lichtgeschwindigkeit von uns weg bewegt, sind die Photonen dieser Strahlung extrem nach dem roten Ende des Spektrums verschoben und damit entsprechend energieärmer und langwelliger. Inzwischen liegt die Wellenlänge der Strahlung im Millimeterbereich, daher die Bezeichnung kosmischer Mikrowellenhintergrund. Die Strahlung fällt aus allen Richtungen gleichmäßig, also isotrop ein.
Doch absolut isotrop ist diese Strahlung nicht. Deshalb wurde bereits zu Beginn der 90er Jahre der Satellit COBE (COsmic Background Explorer) gestartet, der im Mikrokelvin-Bereich Anisotropien aufspürte. Die Abweichungen sind außerordentlich gering, sie liegen im Bereich von nur wenigen Hunderttausendstel der mittleren Temperatur von 2,73 K. Dennoch zeigen sie die primordiale Strukturbildung im Universum. Auf großen Skalenlängen (typischerweise einige hundert Millionen Lichtjahre) zeigt das Weltall einen honigwabenartigen Aufbau. Galaxienhaufen und Superhaufen bilden riesige Wände, die gewaltige, fastvöllig leere Zellen (voids) umschließen. Die Winkelauflösung betrug bei COBE allerdings nur bescheidene 7°. Mit WMAP lassen sich aberAbweichungen (Anisotropien) von nur 15 Bogenminuten (= halber Vollmonddurchmesser) ausmachen. Eine exakte Analyse der Struktur der Anisotropien erlaubt die recht genaue Ableitung aller relevanten kosmologischen Parameter. Nach nur einjähriger Beobachtungszeit und akribischer Analyse der Messergebnisse und Daten ließ sich Folgendes ableiten:
Das Universum ist vor 13,7 Milliarden Jahren aus einem extrem heißen Feuerball hervorgegangen. Die Unsicherheit in der Altersangabe liegt bei nur einem Prozent! Dies stimmt gut mit dem Alter der ältesten Sterne überein, die man auf zwölf bis dreizehn Milliarden Jahre schätzt.
Bereits nach knapp 400.000 Jahren wurde das Universum durchsichtig -die strahlungsdominierte Ära wurde durch die Materie-Ära abgelöst. Die ersten Sterne leuchteten bereits nach 100 bis 400 Millionen Jahren auf, also viel früher als man bisher annahm.
Der Hubble-Parameter beträgt ziemlich genau 71 Kilometer pro Sekunde und Megaparsec (ein Megaparsec= 3,26 Millionen Lichtjahre). Der Hubble-Parameter gibt die Expansionsgeschwindigkeit des Weltalls an.
Der Weltraum ist flach, es gilt die euklidische Geometrie. Dies wiederum setzt voraus, dass sich das Universum in einer sehr frühen Phase (nach 10-35 Sekunden) exponentiell aufblähte. Die vor zwanzig Jahren von Alan Guth postulierte inflationäre Phase hat damit eine Bestätigung erfahren. Daraus folgt unmittelbar, dass das Universum um viele Zehnerpotenzen größer ist, als der von uns überschaubare Teil mit einem Durchmesser von knapp 28 Milliarden Jahren.
Nur etwa vier Prozent der Masse des Universums besteht aus der uns bekannten Materie, also aus Protonen, Neutronen, Elektronen, Neutrinos, Photonen und ihren Antiteilchen. Rund 23 Prozent gehen auf das Konto der so genannten Dunklen Materie, die sich nur durch ihre Schwerkraft bemerkbar macht, aber einer direkten Beobachtung bis dato entzieht. Diese Dunkle Materie ist aber für die ursprüngliche, großräumige Strukturbildung des Weltalls verantwortlich, da sie nicht der elektromagnetischen Wechselwirkung unterliegt und daher nicht mit Photonen koppelt.
Der Löwenanteil, nämlich 73 %, der mittleren Dichte des Weltalls, entfällt auf die heute noch mysteriöse Vakuumenergie, auch als „Dunkle Energie" oder gelegentlich „Quintessenz" bezeichnet. Unter anderem Bewirkt sie die heute beschleunigte Expansion des Universiums.

© Hans-Ulrich Keller: Kosmos Himmelsjahr 2004, Kosmosverlag 2003

 

Das Urknall-Buch

Von der physikalischen Theorie zur New-Age-Fabel: Neuerscheinungen von Alan Guth, Lee Smolin und anderen zum Thema Kosmologie

Ulf von Rauchhaupt

 

In der Sachbuchecke meines Buchhändlers gibt es ein Regalbrett zum Thema Weltraum. Längst finden sich da nicht nur pralle Bildbände über das Reich der Planeten und Galaxien. Beliebt sind heute sparsam illustrierte Bleiwüsten in leinenen Buchdeckeln. Die Umschläge sind dezent, und die Klappentexte raunen von den letzten Dingen der Physik: Kosmos, Urknall, Universum, Raum, Zeit, Materie.

 

Theory sells. Nachdem uns die Philosophen nicht mehr sagen, was wir sind und wo wir hingehen, hören wir jetzt den Naturwissenschaftlern zu. Die wissen zwar allenfalls, wo wir herkommen, doch darüber immer mehr. Auch in der Wissenschaft von den Anfängen des Kosmos ist man enorm vorangekommen. Parallel dazu boomt die Kosmologie als Sachbuchsparte nun schon im elften Jahr: 1988 landete der britische Gravitationstheoretiker Stephen Hawking mit seiner „Kurzen Geschichte der Zeit einen der spektakulärsten Bestseller der Sachbuchgeschichte. Seither fühlten sich immer mehr Autoren berufen, die Öffentlichkeit an den neuesten Erkenntnissen und Ideen über den Urgrund des Seins teilhaben zu lassen.

Wer etwas über den aktuellen Stand der Kosmologie erfahren möchte, den zwingt diese Titelflut zur Auswahl. Doch nicht alles, was da in Leinen gebunden und mit Anhängen, Glossar und Fußnotenapparat versehen in den Handel kommt, ist das Werk ausgewiesener Fachleute oder seriöser Wissenschaftsjournalisten. Und schließlich kann auch der Name eines renommierten Kosmologen nicht garantieren, dass es in dem Buch nicht vorrangig um die privaten Spekulationen des Autors geht. Welch unterschiedliche Werke sich hinter ähnlicher Aufmachung verbergen können, zeigt ein Blick auf fünf Neuerscheinungen der letzten Zeit.

 

Um mit dem Erfreulichsten anzufangen: Alan Guths „Geburt des Kosmos aus dem Nichts gehört zum Besten, was zu dem Thema seit langem erschienen ist. Zwar verlangt das fußnotengespickte 500-Seiten-Opus dem Leser einiges ab. Vor allem physikalisch weniger Vorgebildete werden nicht alles auf Anhieb verstehen. Doch dürfte ein gründlicher Einblick in die oft schwierigen Zusammenhänge kaum billiger zu haben sein als bei Guth, dessen klarer und humorvoller Stil einen manche Passage auch gern zweimal lesen lässt.

 

Der heute 52-jährige Guth hat selber maßgeblich zur modernen Kosmologie beigetragen. Seine große Entdeckung, die Theorie des inflationären Universums, steht daher im Zentrum des Buches, und die Geschichte ihrer Entdeckung bildet sein erzählerisches Rückgrat. Wissenschaftshistoriker werden diesen autobiografischen Ansatz vielleicht nicht genießen können, doch er erlaubt spannende Einblicke in den Wissenschaftsbetrieb.

 

Alan Guth ist heute ordentlicher Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), einem der höchsten Gipfel des physikalischen Olymps. Dorthin katapultierte ihn seine Inflationstheorie, die er vor 20 Jahren als ein von Arbeitslosigkeit bedrohter Postdoktorand formuliert hat und die heute als wichtigste theoretische Entwicklung der Kosmologie seit der Etablierung des Urknallmodells gilt.

 

Dieses Urknallmodell ergibt sich, wenn man Einsteins Relativitätstheorie auf das Universum als Ganzes anwendet. Es besagt, dass sich das gesamte Weltall ständig ausdehnt, wodurch sich die Galaxien voneinander entfernen wie Rosinen in einem aufgehenden Hefeteig. Das All wird also immer größer und kühlt sich dabei ab. Früher war es daher kleiner und heisser. In ferner Vergangenheit muss es einen Moment gegeben haben, in dem das gesamte heute sichtbare Universum mit aller Materie seiner etwa hundert Milliarden Galaxien in ein Volumen von der Größe einer Pampelmuse passte.

 

Die Temperaturen in dieser sehr frühen Phase des Urknalls waren derart höllisch, dass Materie nur in Form freier Elementarteilchen existieren konnte. Diese prallten ständig aufeinander - mit einer Wucht, die kein Teilchenbeschleuniger aufbringen könnte. Die physikalischen Gesetze unter solchen Bedingungen sind empirisch nicht überprüfbar. Wie das Universum im Pampelmusenstadium wirklich aussah, ist gelehrte Spekulation.

Mit solcher Spekulation verdiente im Jahr 1979 auch der junge Alan Guth seine Brötchen. Er befasste sich damals mit sogenannten großen vereinheitlichten Theorien, die deshalb so heißen, weil sie alle physikalischen Kräfte, mit Ausnahme der Gravitation, zu einer einzigen Kraft zusammenfassen. Spürbar wird diese Vereinigung aber nur in der irrwitzigen Hitze des frühen Universums.

 

Am Anfang war da wohl ein Nichts. Und setzte Energie frei

In diesem Zusammenhang stellte Guth nun die Hypothese auf, dass der Raum in den ersten Momenten des Urknalls von einem sogenannten falschen Vakuum erfüllt war - einem bizarren und eigentlich nur als mathematisches Gebilde der Quantenphysik verständlichen Zustand. Dieses falsche Vakuum ist wohl das "Nichts", auf das sich der deutsche Titel bezieht - ein etwas irreführender Sprachgebrauch. Denn indem dieses Nichts Gesetzen gehorcht und Eigenschaften hat, ist es eben auch Etwas.

 

Drei dieser Eigenschaften machen das falsche Vakuum für die Kosmologen interessant: Erstens war es äußerst energiereich. Zweitens war es instabil und musste nach kurzer Zeit in das "echte Vakuum" unserer heutigen physikalischen Realität zerfallen. Seine Energie setzte es dabei in Form von Teilchen frei - darunter die Materie, die das Universum heute erfüllt und aus der auch wir bestehen. Und drittens hat falsches Vakuum die Eigenschaft, den Raum aufzublähen, und zwar sehr viel schneller, als das Universum heute expandiert. Solange also das falsche Vakuum noch nicht restlos zerfallen war, blies sich das Universum explosionsartig auf - es durchlief eine "inflationäre" Phase.

 

Diese Idee beseitigte mit einem Schlag das Problem der "Anfangsbedingungen", die man zusätzlich zum Urknallmodell brauchte, um das beobachtete Universum korrekt zu beschreiben, über deren Zustandekommen aber vor Guth niemand etwas wusste. Allerdings stellte sich später heraus, dass man die Inflationstheorie modifizieren muss, um neueren Beobachtungen gerecht zu werden. Gegenwärtig sind rund fünfzig verschiedene Inflationstheorien im Umlauf. Trotzdem glauben die meisten Kosmologen, dass die Grundidee richtig ist.

 

Die Theorie verhindert, dass wir dem Herrgott in den Topf gucken

Natürlich kann Guth der Versuchung nicht widerstehen, am Schluss seines Buches darüber zu spekulieren, was vor der Inflationsphase geschah, ob unser Universum nur eines von vielen ist und ob es vielleicht möglich sei, künstlich einen Urknall herbeizuführen. Letztere Idee Guths hat übrigens den schriftstellernden Plasmaphysiker Gregory Benford zu seinem zwar einfach gestrickten, aber spannenden Science-Fiction-Thriller Cosm animiert (Orbit Books, London 1998).

 

Guth verzichtet darauf, dem Leser irgendwelche philosophischen oder gar theologischen Implikationen dieser Ideen aufzudrängen. Er erwartet nicht, dass solche Gedanken je mehr sein werden als eine Spielerei: Wenn die Inflationstheorie in irgendeiner Form richtig ist, dann ist es gerade sie, die verhindert, dass wir dem Herrgott je tiefer in den Kochtopf gucken werden: "Der Reiz der Inflationstheorie - dass sie nämlich Vorhersagen unabhängig von den Einzelheiten der Anfangsbedingungen ermöglicht - wird damit für den Kosmologen zur absoluten Schranke der Erkenntnis."

 

Lee Smolin scheint dies wenig zu kümmern. Der 42-jährige Professor forscht an der Pennsylvania State University über Quantengravitation, der heiß ersehnten Vereinigung von Gravitations- und Quantentheorie. Ihre noch völlig unbekannten Gesetze dürften in der allerfrühesten Phase des Urknalls das Geschehen bestimmt haben und sind wohl auch im Inneren der Schwarzen Löcher am Werke - jener mysteriösen Objekte, die durch den finalen Kollaps schwerer Sterne entstehen.

 

Auch Smolin ist inzwischen berühmt. Allerdings weniger durch seine Forschung als durch sein Buch Warum gibt es die Welt?, das in den USA schon erhebliches Aufsehen erregt hat (ZEIT Nr. 43/97). Hier trifft der deutsche Titel die Intention des Autors besser: Smolin will erklären, warum die Naturgesetze notwendig so sind, wie wir sie vorfinden.

Smolin spekuliert, das Universum könnte sich durch Bildung Schwarzer Löcher gewissermaßen "fortpflanzen", und zwar indem die noch unbekannten Gesetze der Quantengravitation im Inneren jedes Schwarzen Lochs einen weiteren Urknall bewirken und damit die Entstehung eines neuen (Parallel-)Universums - in dem dann abgeänderte Naturgesetze gelten.

 

Das neue Universum hat viele Nachkommen

Das sind die Grundannahmen, der Rest ist Darwinismus: Begünstigen die abgeänderten Naturgesetze die Entstehung Schwarzer Löcher, dann hat das neue Universum seinerseits viele Nachkommen. Wenn nicht, sterben diese unfruchtbaren Naturgesetze aus. Denn nach einigen Generationen gibt es dann fast nur noch Universen, deren physikalische Gesetze die Bildung Schwarzer Löcher erzwingen. Da Schwarze Löcher aber aus Sternen entstehen, sind diese "potenten" Universen zugleich auch jene, in denen es Sterne gibt und die daher für grüblerische Wesen wie uns bewohnbar sind. Die physikalischen Gesetze unseres Universums wären demnach zwar nicht die einzig möglichen, aber die wahrscheinlichsten.

 

Keine Frage, das ist sehr originell - und hat, was man früher "spekulative Kraft" nannte. Zudem ist das Buch gut geschrieben - und wurde vorzüglich übersetzt. Lee Smolin trennt sauber Fakten von Vermutungen, und der Leser lernt bei ihm viel über physikalische Theorien - sogar über solche, die es schon gibt.

 

Doch eine fröhliche Wissenschaft im Stil Nietzsches ist das nicht. Wie einst Stephen Hawking serviert Smolin seinen Lesern eine äußerst spekulative Idee, die mit nachgeprüfter, ja nachprüfbarer Wissenschaft nur einige Zutaten gemein hat. Dazu wird dann eine erdenschwere scientistische Metaphysik gereicht - eine Beilage, von der nicht klar ist, ob sie nicht eigentlich das Hauptgericht ist. Doch Smolins philosophische Rohkost dürfte den Geschmack des Zeitgeistes treffen - vor allem sein Hauptingrediens, die Idee vom kosmischen Darwinismus. Spätestens seit Edward O. Wilsons Soziobiologie ist die Selbstorganisation durch Mutation und Selektion ja zum universellen systemtheoretischen Paradigma geworden. Die Evolutionitis grassiert allenthalben, warum nicht auch im Reich der Schwarzen Löcher.

 

Möglicherweise ist die "Einheit der Wissens", die auch Lee Smolin gern stiften würde, nur wieder ein neues hegelianisches Gespenst. Eines freilich, das sich nicht auf wackelige Gesellschaftsanalysen stützt, sondern auf dem heiligen Boden der Naturwissenschaft wandelt - vor allem der Physik. An dieser fasziniert ja vor allem, wie ihr Theoriegebäude im Laufe der Zeit immer weiter vereinheitlicht wurde. Das nährt Hoffnungen, es werde auch in Zukunft so weitergehen, bis die "Theorie für alles", die Weltformel, gefunden sei.

 

Wer sich über den bisherigen Gang der Vereinheitlichung informieren möchte, greift vielleicht gern zu dem Bändchen Die Entwirrung des Universums der beiden französischen Physiker Étienne Klein und Marc Lachièze-Rey. Das Buch ist eine kurze, im Großen und Ganzen leicht verständliche Ideengeschichte des Projektes Vereinheitlichte Theorie von der Vorsokratik bis zu den physikalischen Utopien der Gegenwart. Dass mit den Quellentexten dabei manchmal recht schludrig umgegangen wird, ist bei einem populärwissenschaftlichen Buch vielleicht verzeihlich. Allerdings sind die knapp 200 Seiten kaum mehr als eine erste Einführung, die zudem recht holzschnittartig und stellenweise dunkel geraten ist. Wer angelsächsische Klarheit wie bei Guth und Smolin gewohnt ist, wird hier Probleme haben.

 

Probleme ganz anderer Art bekommt, wer versucht, sich auf das Buch Der Biologische Urknall des Hamburger Internisten Hans Melderis einen Reim zu machen. Der Untertitel kündigt ein Buch über Entstehung von Kosmos und Leben aus der Bewegung an. Doch zumindest der kosmologische Teil ist veraltet und steckt voller sachlicher Fehler. Über Biologie ist der Autor zwar besser informiert, liefert jedoch nur einen Wirrwarr biologischer und medizinischer Details ohne näheren Bezug zur Frage nach dem Ursprung des Lebens.

 

Vergeblich sucht man etwa die aktuellen Theorien der Fachleute zu diesem bisher ungelösten Rätsel. Der Vergleich von kosmologischem und "biologischem Urknall" schließlich scheint entweder absurd oder trivial - je nachdem, was man geneigt ist, unter "Bewegung" zu verstehen. Zudem wird der Leser mit einem Schwall von bildungsbürgerlichen Zitaten beglückt. Melderis tut wenig, um den Eindruck zu vermeiden, er habe das Buch bloß geschrieben, um ausführlich aus Dante, Schopenhauer und der eigenen Doktorarbeit zitieren zu können.

 

Eklektische Zitierwut und das Hantieren mit selbst fabrizierten Prinzipien sind sonst eher die Spezialität von Autoren aus dem Dunstkreis der Esoterik und des New Age. Manchen Strömungen dieses diffusen Konglomerats von Weltanschauungen hat es das "mystische" Potenzial der modernen Physik angetan. Ein Vertreter der Szene ist der gelernte Mathematiker Brian Swimme, der bereits 1992 zusammen mit dem Kulturwissenschaftler Thomas Berry die jetzt auf Deutsch erschienene Autobiographie des Universums verfasst hat.

 

Darin wird die Geschichte des Universums erzählt: vom Urknall bis zur Entstehung der Erde, des Lebens, des Menschen, der Kultur. Das Ganze liest sich wie der zu lang geratene Prolog einer Fantasy-Saga, was an sich nicht weiter schlimm ist. Das Ärgerliche ist nur, dass der Leser keine Chance bekommt, empirisch gesicherte Erkenntnisse von pseudowissenschaftlichem Brimborium zu trennen. Mit echter Wissenschaft hat das Ganze auch deswegen wenig zu tun, weil diese narrative Kosmologie gerade über jene Entwicklungsschritte bruchlos hinwegfabuliert, über die wir kaum etwas wissen. Das ist keine Vereinfachung zum besseren Verständnis, sondern schlicht Irreführung - zumal die Autoren treuherzig beteuern, ihr Vorgehen stütze sich "grundsätzlich auf Beobachtung". Am Schluss verzapfen Berry und Swimme noch eine ökologische Vollwertmoral, politisch korrekt wie im Bilderbuch. Doch es nützt nichts, als Sachtext ist diese Autobiographie eine kosmische Geschichtsklitterung.

 

Solche Kritik trifft natürlich nur vom Standpunkt der herkömmlichen wissenschaftlichen Rationalität - die man in Strömungen wie dem New Age ja gerade ablehnt. Außerhalb dieser Rationalität tut man sich natürlich leicht, den Naturwissenschaften irgendwelche Antworten auf weltanschauliche Fragen zu entlocken. Ob das innerhalb dieser Rationalität auch möglich ist, darf zumindest bezweifelt werden. Dennoch könnte der enorme Erfolg von Büchern wie dem von Stephen Hawking oder jüngst Lee Smolin auch damit zu tun haben, dass heute viele Menschen genau das von den Naturwissenschaften erwarten: die alten großen Fragen nach dem Kosmos, dem Leben und dem Bewusstsein restlos zu beantworten. Fragt sich nur, ob die Naturwissenschaft als empirisches Unternehmen damit nicht überfordert ist.

 

·Alan Guth: Die Geburt des Kosmos aus dem Nichts
Die Theorie des inflationären Universums; mit einem Vorwort von Alan Lightman; Droemer Knaur Verlag, München 1999; 544 S., 58,- DM

 

·Étienne Klein/Marc Lachièze-Rey: Die Entwirrung des UniversumsPhysiker auf der Suche nach der Weltformel; Klett-Cotta, Stuttgart 1999; 240 S., 39,80 DM

 

·Brian Swimme/Thomas Berry: Die Autobiographie des UniversumsDiederichs Verlag, München 1999; 272 S., 39,80 DM

 

Lee Smolin: Warum gibt es die Welt?Die Evolution des Kosmos; aus dem Englischen von Thomas Filk; C. H. Beck Verlag, München 1999; 428 S., 58,- DM

 

Hans Melderis: Der biologische UrknallEntstehung von Kosmos und Leben aus der Bewegung; Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 1999; 288 S., 42,- DM

(c) DIE ZEIT 1999

 

 

Das große Gehubble um den Urknall

 

Die Astronomen lieferten sich in Paris erstmals einen offenen Schlagabtausch um das Alter der Welt

Von Ulrich Schnabel

 

Astronomen sind geduldige Menschen. Wer Entfernungen in Lichtjahren rechnet und Zeit in kosmischen Dimensionen mißt, läßt sich von irdischen Hindernissen nicht so leicht abschrecken. Und so war die internationale Astronomengemeinde trotz des französischen Streiks vergangene Woche nahezu vollzählig nach Paris gereist. Schließlich mußten einige der drängendsten Rätsel des Universums diskutiert werden. Während draußen die Metros stillstanden und Blechschlangen die Pariser "Straßen verstopften, durchzog den Saal XII des Unesco-Gebäudes ein Hauch von Unendlichkeit. In knapp hundert Einzelvorträgen ließen die Astronomen die jüngsten Bilder und Entdeckungen des Hubble-Weltraumteleskops Revue passieren. Wer dabei allerdings himmlischen Frieden und kosmische Harmonie erwartete, lag falsch: Bevor sich die Forscher dem neuesten schwarzen Loch, rätselhaften Quasaren oder neugeborenen Sternen zuwandten, stürzten sie sich streitlustig in die größte Kontroverse, die die Kosmologie derzeit zu bieten hat.

 

Nichts treibt die Zunft momentan mehr um als die simple Frage: Wie groß ist die Hubble-Konstante? Diese Zahl, benannt nach ihrem Entdecker Edwin Hubble, beschreibt die Ausdehnungsgeschwindigkeit des Weltalls. Überdies ergibt ihr Kehrwert auch ein Maß für das Alter des Universums - und damit fängt der wahrhaft kosmische Ärger an (siehe oben). Denn die neuesten Messungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop liefern höchst irritierende Werte für die gesuchte Konstante. Demnach wäre das Universum jünger als seine ältesten Sterne, ein offensichtlich unsinniges Ergebnis. Das paradoxe Resultat, das ein Teil der Astronomen verficht, stellt allerdings nicht nur das Alter der Welt in Frage. Auf dem Spiel steht auch die Urknall-Theorie. Die meisten Forscher glauben zwar immer noch an die Gültigkeit dieser wissenschaftlichen Schöpfungsgeschichte. Doch Ketzer wittern Morgenluft.

 

Der Engländer Fred Hoyle, der seit Jahren schon seine sready smle-Theorie eines unveränderlichen Universums anpreist, frohlockt: "Von den numerischen Faktoren her liegt das Problem für den Urknall wieder auf dem Tisch." Mit einem Paukenschlag begann daher die Pariser Astronomenwoche: Zum ersten Mal wurde die Hubble-Kontroverse in einer Art wissenschaftlichem Schaukampf öffentlich ausgefochten. "Es gibt verschiedene Fraktionen, verschiedene Sekten, die alle überzeugt sind, ihre Wahrheit sei die richtige", stellte der französische Astronom Lodewijk Woltjer zu Anfang des intellektuellen Ringens fest. Als Unparteiischer drückte er seine Hoffnung aus, daß diese Konferenz als "ökumenische Veranstaltung" gegenseitiges Verständnis wecken möge - dann gab er den Ring frei. Das Publikum wurde nicht enttäuscht.

 

Der seit über zwanzig Jahren schwelende Streit wurde mit harten Bandagen und den neuesten Daten ausgefochten. Sinnigerweise wird das etablierte "alte" Universum eher von älteren Astronomen vertreten, während das paradoxe "junge" All vor allem die jüngere Generation begeistert. So verteidigte in Paris der 63jährige Tammann das konservative Modell gegen die 38jährige "Herausforderin" Wendy Freedman. Die zierliche, schwarzhaarige Astronomin arbeitet am "Key Project" des Hubble-Weltraumteleskopes. Dieses "Schlüsselprojekt" soll die intergalaktischen Entfernungen vermessen und damit die Hubble-Konstante auf einer breiten Datenbasis bestimmen. Und die ersten Ergebnisse sprechen für Freedman. So hatten sie und ihr Team im vergangenen Jahr den rund 50 Millionen Lichtjahre entfernten Virgo-Haufen vermessen und daraus eine Hubble-Konstante Ho von 82 Kilometern pro Sekunde pro Megaparsec bestimmt. Diese Zahl bedeutet, daß sich eine Galaxie, die ein Megaparsec entfernt ist (das entspricht 3,26 Millionen Lichtjahren), mit 82 Kilometern pro Sekunde von uns entfernt. Berechnet man allerdings aus dieser Geschwindigkeit den Zeitpunkt, an dem alle Galaxien ursprünglich an einem Punkt vereinigt waren ("Urknall"), erhält man ein Weltenalter von rund acht Milliarden Jahren. Und das steht in offensichtlichem Widerspruch zu den Berechnungen der Sternentheoretiker, die die ältesten Kugelsternhaufen im All auf vierzehn bis sechzehn Milliarden Jahre datieren.

 

Nach Wendy Freedman betrat daher Gustav Tammann von der Universität Basel das Podium und versuchte, das astronomische Weltbild wieder geradezurücken. Tammann, ein freundlicher Professor mit Hornbrille und leicht ergrautem Haar, arbeitet eng mit Alan Sandage zusammen, dem großen Schüler von Edwin Hubble. Seit Jahrzehnten messen Tammann und Sandage in immer neuen Experimenten einen Hubble-Wert zwischen 50 und 60. Das daraus berechnete Alter des Alls von etwa fünfzehn Milliarden Jahren steht in schönster Übereinstimmung mit den Berechnungen der Sternentheoretiker. Doch wie lassen sich Tammanns Werte und Freedmans Ergebnisse unter einen Hut bringen, zumal sie beide dasselbe Instrument, das Hubble-Teleskop, nutzen? Die Antwort liegt in der unendlichen Weite des Kosmos. Denn ein Lichtjahr entspricht immerhin 9,46 Billionen Kilometern, und Entfernungen in diesem Bereich lassen sich bestenfalls Pi mal Daumen schätzen. Zwar dienen den Astronomen gewisse Leuchttürme im All zur groben Orientierung: beispielsweise pulsierende Cepheiden-Sterne, bei denen Leuchtkraft und Periodendauer in einem festen Zusammenhang stehen; oder explodierende Sterne, sogenannte Supernovae, die wegen ihrer bekannten Helligkeit als "Standardkerzen" gelten. Doch der Teufel der Entfernungsmessung steckt im Detail. Steht beispielsweise ein beobachtetes Leuchtfeuer eher im Vorder- oder im Hintergrund eines anvisierten Galaxienhaufens? Woher weiß man überhaupt, daß zwei weit entfernte Pünktchen im All wirklich zusammengehören und nicht nur eine scheinbare Einheit auf den Teleskopbildern bilden? Bei ihrem Schlagabtausch führten sowohl Freedman als auch Tammann diese Unsicherheitsfaktoren ins Feld - zugunsten der eigenen Messungen. Geriet eine Partei wirklich einmal in Bedrängnis, dann wurde gerne die unschlagbare preprint-Waffe gezückt. Denn preprints, in Vorbereitung befindliche Veröffentlichungen, sind in der Regel nur dem jeweiligen Verfasser bekannt und können daher kaum widerlegt werden.

 

Doch während auf dem Podium noch die altbekannte Kontroverse "50 gegen 80" ausgefochten wurde, meldete sich plötzlich der Harvard-Astronom Robert Kirshner zu Wort. Bewaffnet mit Overhead-Folien, stürmte er nach vome und präsentierte dem erstaunten Auditorium eine neue Analyse der Helligkeit von Supernovae. Glaubt man Kirshners Lichtkurven, dann müssen Tammanns Messungen mit den "Standardkerzen" revidiert werden, und es ergibt sich ein neuer Wert der Hubble-Konstante von rund 67. "Ich glaube das niemals", kommentierte Gustav Tammann die überraschende Attacke und konterte: "Damit kommen Sie ziemlich nahe an ein Nonsense-Universum." "Wir leben vielleicht in einem Unsinns-Universum, in dem HO gerade 67 ist", parierte Kirshner und ermutigte damit offenbar einen weiteren Astronomen zum Coming-out.

 

Der junge Dimitro Sasselov aus Harvard betrat ebenfalls folienbewaffnet den intellektuellen Kampfplatz und stellte seine Ergebnisse über die Cepheiden vor. Sasselov zufolge sorgen metallische Komponenten in den kosmischen Leuchtfeuern dafür, daß Tammanns Werte zu niedrig, Freedmans Konstante dagegen zu hoch ausfalle. Der wirkliche Wert für HO liege vermutlich in der Mitte. Auf Kompromisse, auch wenn sie verlockend klingen, läßt sich ein rechter Wissenschaftler allerdings nicht ein. Daß ein solcher Mittelwert die Kontroverse jedoch tatsächlich entscheiden könnte, zeigten die Messungen des dreißigjährigen Engländers Nial Tanvir aus Cambridge. Er hatte mit dem Hubble-Teleskop eine Galaxie in der sogenannten "Leo-Gruppe" vermessen und daraus einen Wen von HO gleich 69 erhalten. Freilich wird nie ein Einzelergebnis die Debatte entscheiden. Unisono erklärten Freedman und Gustav Tammann, daß erst der Mittelwert aus vielen weiteren Messungen mit dem Hubble-Teleskop in den kommenden Jahren den wahren Wert der gesuchten Konstante liefern werde. Was dann allerdings aus der Urknall-Theorie wird, steht in den Sternen. Denn selbst ein mittlerer Wert von etwa 67 würde das Paradoxon zwischen dem Alter des Alls und dem der ältesten Sterne nicht auflösen. Zwar beteuert selbst Wendy Freedman: "Der Big Bang ist nicht tot. Alle unsere Messungen lassen sich im Rahmen eines sich ausdehnenden Universums verstehen." Immerhin stützt sich die erfolgreiche Urknall-Theorie auf überzeugende Indizien wie die Hintergrundstrahlung oder die Verteilung der chemischen Elemente im All, die sich wunderbar als Ergebnis eines großen anfänglichen Knalls beschreiben lassen. Dennoch müßte die bisherige Theorie einige einschneidende Veränderungen erfahren. Die meistdiskutierte Variante ist derzeit eine Wiederbelebung der "kosmologischen Konstante" von Albert Einstein. Diesen Zusatzterm hatte der Schöpfer der allgemeinen Relativitätstheorie 1916 in seine Feldgleichungen eingeführt, um ein, wie er meinte, unveränderliches Universum zu beschreiben. Als sich später herausstellte, daß das Universum mitnichten statisch sei. widerrief der große Physiker öffentlich und bezeichnete die kosmologische Konstante als "größten Fehler" seines Lebens. Wird dieser Fehler möglicherweise posthum zu Einsteins größtem Triumph?

 

Ein solcher Faktor, der in Einsteins Feldgleichungen eine abstoßende Kraft beschreibt, würde dafür sorgen, daß sich das All heute schneller als früher ausdehnt. Der jetzige Wert der Hubble-Konstante täuschte damit ein zu junges Universum vor. Freilich würde die Einführung einer solchen Zusatzkonstante den Kosmologen an anderer Stelle Kopfzerbrechen bereiten. "Viele Theoretiker sagen: Ich kann's einfach nicht glauben. Oder: Habt ihr euch nicht geirrt?" berichtet Nial Tanvir. Und auch Wendy Freedman bestätigt, daß eine Wiederbelebung von Einsteins "frisiertem Faktor", wie ihn manche Astronomen bezeichnen, "gewaltige Probleme" für die bisherige Standardtheorie mit sich bringen würde. Der Streit um Hubbles Konstante dürfte also noch einige Zeit weitergehen. Im nächsten Jahr, so berichtet Gustav Tammann, sei er gleich zu mehreren "great debates" zu diesem Thema in die USA eingeladen. Und Wendy Freedman fand heraus, daß die astronomische Auseinandersetzung in Hubbles Namen gewissermaßen unausweichlich war: Schließlich bedeute das englische Wort hubbub: "Getöse, Tumult oder Wirrwarr".

(c) DIE ZEIT 51/1995